Vancouver Island - Wo uns die Elche "Gute Nacht" sagen

Vancouver Island ist das Ziel meiner Reise durch die USA und Kanada.  Ab hier wird es auf dem gleichen Weg zurück nach Hause gehen, auf dem ich gekommen bin: Vancouver – Seattle – New York – Wien.

Aber vorher, vorher ist noch Zeit in der frischen Luft der Insel tief durchzuatmen. Mit der Fähre geht es von Horseshoe Bay, einer der Fähranlegestellen von Vancouver, in eineinhalb Stunden nach Nanaimo auf Vancouver Island. Wir borgen uns ein Auto aus, denn ohne eigenes Fahrzeug ist es schwer die vielen verschiedenen Facetten der Insel zu erkunden.
Eine weitere Stunde Fahrt mit dem Auto bringt uns nach Youbou am Lake Cowichan, wo unsere neue Unterkunft auf uns wartet. Unser Paradies für einige Nächte: umgeben von einem Nadelwald wohnen wir in einer Cabin, dem Sonnenuntergang zugewandt und direkt am See, mit eigenem Steg, eigener Terrasse und – dem Nonplusultra – einem Hot-tub zwischen den Nadelbäumen. Wir schlafen unter einem Giebeldach und jeden Morgen, wenn die Sonne unsere Nasen kitzelt, liegt der Blick frei auf den See. Draußen tourt eine Herde freilebender Elche durch das Gelände und abends, wenn sich die Bewohner*innen der Ortschaft zum Baseballspielen treffen, kommt die Elchherde zusammen um den Spielplatz nebenan abzugrasen.

3x so groß wie Hawaii und circa die Länge von Irland hat Vancouver Island landschaftlich so viel zu bieten wie sonst selten ein ganzes Land. Strände umsäumt von Nadelwäldern, ein Skigebiet und Regenwälder. Dazwischen Seen und sanfte Hügellandschaften, sodass man meinen könnte man wäre in Kärnten oder der Steiermark. Vancouver Island ist lebendig und fruchtbar und nachdem ich während dieser Reise ja dem Frühling nachfahre, blüht nun hier die Natur und die Blätter auf den Bäumen sprießen in den Wäldern üppig vor sich hin. Die Wanderung entlang eines Flusses und durch dichte Wälder erinnert mich an ein Kanada-Puzzle meiner Kindheit, hier könnte eine Bärenfamilie nach Lachsen fischen. Als wir die Insel besuchen ist es Mitte Mai und noch immer sind schneebedeckte Hügel zu finden. Wenn man so wie wir in den Süden reist, sieht man auch das Bergmassiv vom Olympic National Park in den USA, das über dem Meeresarm zwischen den beiden Ländern thront.

Unsere Tagesausflüge auf Vancouver Island bringen uns unter Anderem zum Pacific Rim National Park, der als Drehort für Filme wie Planet der Affen bekannt ist, und den wir von unserer Unterkunft aus nur über eine zweistündige Fahrt auf einer Kieselstraße erreichen können. Der Park ist voller Regenwälder, Wasserwege und verlassener Sandstrände. Unser erster Versuch eines Wanderweges ist gleich wieder vorbei – wir sind zurecht eingeschüchtert von den Warnungen vor Pumas und Bären, wo es wenig zuversichtlich heißt: "If attacked, fight back". Leider haben wir nicht die nötige Ausrüstung mit um uns im Notfall zu verteidigen. Kleiner Tipp: wenn man in Kanada in die Wildnis will sollte man einen Bear Spray mit dabeihaben. Vorher nicht gewusst, dass es das gibt, hätte uns das beim Wandern auf der Insel sehr viel mehr Sicherheit gegeben. Wir wählen einen anderen Weg, der uns direkt an einen Traumstrand bringt. Außer einem Mann, der ausgelassen mit seinem Hund spielt, ist hier niemand. Während unserem improvisierten Picknick beobachten wir einige Greifvögel bei der Jagd über der Gischt der Wellen. Beim weiteren Weg über Felsen und Waldwege kommen wir an eine steile Kletterpartie über Holzsteige und werden belohnt mit tollen Aussichten.

An diesem Tag begegnen wir während unserer Autofahrt tatsächlich noch einem Bären. Ein Schwarzbär, Grizzlies gibt es auf der Insel keine. Der Bär schreckt sich vor uns, läuft in den Wald und ich entdecke ihn beim Vorbeifahren noch wie er sich vor uns versteckt: das Bild des Bärenpopos, der hinter dem Baum hervorsteht, während sein Kopf auf der anderen Seite herausschaut und uns vorsichtig beäugt, brennt sich mir ins Gedächtnis. So ein Bär ist halt doch zu groß um sich erfolgreich hinter einem Baum unsichtbar zu machen.

Die Autofahrten sind wie auch unsere Destinationen traumhaft schön, durch bewaldete Täler, über türkisblaue Flüsse und dem Meer entlang. Bei einem weiteren Ausflug besuchen wir Port Renfrew, wo viele Wanderwege starten und Nationalparks durch lange Kiesstrände ins Meer übergehen. Einige Camper*innen treffen wir dort, die mit Lagerfeuer und Gitarre am Strand übernachten. An einem der Strände, dem Sombrio Beach, gibt es ein besonderes Highlight: einen hidden waterfall, der sich durch die Kraft des Wassers mitten durch den Stein gebahnt hat.

Am letzten Tag besuchen wir die Alderlea Farm, die eingebettet in einer Hügellandschaft liegt, und an einigen Tagen der Woche mit Lebensmitteln aus der eigenen Produktion ihre Gäste bekocht. Lokal und bio produziert, das ist in Nordamerika eher der Luxus, und das Essen in dieser Farm daher umso mehr fantastisch. Im Anschluss besuchen wir die Stadt Duncan, wo es eine große Sammlung an Totempfählen gibt und einen netten Kleinstadt-vibe, mit Buchgeschäft, Cafés und einigen Läden.

Während unseres Aufenthalts haben wir enorm Glück mit dem Wetter. Es ist die meiste Zeit weder zu heiß noch zu kalt, es regnet nicht und wir haben großteils Sonnenschein. Nachdem die Insel direkt am Pazifik liegt, kann das Wetter aber je nach Jahreszeit auch sehr rau werden. Das ist besonders an der Küste zu beobachten, wo sich oft heftige Stürme entladen, die sich über dem Meer zusammenbrauen. Aus diesem Grund gibt es auf Vancouver Island die Möglichkeit zu Storm Watching. Zum Teil wird das gezielt von Hotels an der Küste angeboten, wo man in der Sicherheit seiner vier Wände das tosende Spektakel beobachten kann. Das wäre bestimmt auch ein Erlebnis, das man so schnell nicht vergisst.

Schweren Herzens wird es nach diesen Abenteuern doch bald Zeit Abschied zu nehmen. Noch einmal Yoga am See gemacht und tief die frische Luft eingeatmet. Noch einmal Trivial Pursuit mit einem Glas Whiskey auf der Terrasse gespielt. Noch einmal im Hot-tub die Aussicht auf den See genossen und die Sterne gezählt, die zwischen den Baumwipfeln zu erkennen sind. Noch einmal fast einen Elch überfahren. Es ist Zeit, in Richtung nach Hause aufzubrechen. Vancouver Island, ich komme wieder!

28. Mai 2023