Mexiko: Nada Limonada

Während sich in Europa die Blätter verfärben, fliege ich mit meiner Freundin Lara nach Mexiko. Nach einer kurzen Nacht in Mexico City geht es weiter nach Puerto Vallarta, einen Strandort am Pazifik für nordamerikanische Tourist*innen. Viele all inclusive Hotelkomplexe säumen die Küste, die Zona Romantica der Stadt ist das Zentrum für LGBTQI+ Personen in Mexiko. Es ist dort sehr sicher, obwohl ab und zu Polizei und Militär in Jeeps und mit Maschinengewehren durch die Straßen patrouillieren. Im Norden und Süden Puerto Vallartas gibt es traumhafte Strände und wir nehmen uns 2 Wochen Zeit um anzukommen, zu genießen und zu entdecken. Dank einem sehr feinen Tausch mittels der Plattform HomeExchange wohnen wir in einem exklusiven Apartmentgebäude, das sich über die niedrigen Häuser unseres Viertels erhebt. Wir residieren im dritten Stock und haben einen fabelhaften Ausblick zum Sonnenaufgang und den allabendlichen Tropenstürmen dieser Jahreszeit. Im obersten Stockwerk liegen für alle Mieter*innen zugänglich Sonnendeck und Dachpool, was unsere Wohnsituation dekadent abrundet.

Puerto Vallarta erreichen wir an einem seiner heißesten Tage. Obwohl die Sonne gerade untergeht, laufen wir aus dem Flughafen kommend gegen eine Wand aus Luft, so sehr geben sich hier Luftfeuchtigkeit und Hitze die Hand. Fast augenblicklich beginnt der Körper zu schwitzen und wird dumpf und so bahnen wir uns in diesem Schleier unseren Weg zur Unterkunft.
Auch in den Tagen danach wird es nur langsam besser. In diesem Jahr war hier wie auch in Europa einer der heißesten Sommer und auch in der aktuellen Regenzeit ist das noch deutlich spürbar. Für uns heißt das, dass jede Aktivität im Freien abgewogen werden muss, und die Kleidung die wir tragen innerhalb kürzester Zeit durchnässt ist. Wir unternehmen daher kaum Erkundungstouren, sondern verbringen die meiste Zeit am Strand. An einem Tag wagen wir einen Ausflug zum im Landesinneren gelegenen botanischen Garten Puerto Vallartas, wo wir verschlungenen Pfaden durch den Regenwald folgen, flinken langbeinigen Spinnen ausweichen und im kühlen Fluss baden. Der botanische Garten ist mit viel Feingefühl angelegt und erinnert mich an die berühmten englischen Gärten. Würde uns die Hitze nicht so zu schaffen machen, wäre es ein Genuss den ganzen Tag durch den Garten zu schlendern.

Im Norden Puerto Vallartas liegt Sayulita, ein Dorf das von US-amerikanischen Aussteiger*innen bevölkert wird. Es ist ein Paradies für Surfer*innen und der perfekte Ort sich ein easy life am Strand zu verwirklichen. So verbringen wir einen Tag damit Surfer boys and girls zu beobachten, Schwammerl und Marihuana angeboten zu bekommen, die wir dankend ablehnen, und im bacherlwarmen Pazifik zu schwimmen. Übernacht kommt ein Sturm auf und am Morgen finden wir uns in seinem Auge wieder. Die Stimmung geht in Richtung Weltuntergang, aber zum Glück lässt das Schlimmste nach bevor wir aus unserer Unterkunft durch knöchelhohes Wasser Richtung Bus waten. Wir sind hier für eine Nacht geblieben, mit Bett auf der Terrasse und einer Hängematte im Boho-Stil, um in das Aussteigerfeeling der Amis einzutauchen.

Der Küstenstreifen südlich von Puerto Vallarta hat ganz andere Vibes, hier reihen sich zunächst noch Hotelketten aneinander, bis man nach etwa 40-minütiger Fahrt in Boca de Tomatlán ankommt, einem kleinen Hafenort, der den südlichen Endpunkt der Küstenstraße markiert. Von hier aus bringen Wassertaxis Mensch und Tier nach Yelapa, Quimixto, Las Animas – Orte, die am Rande des Dschungels liegen und nur mit dem Boot zu erreichen sind. Mehrere Male fahren wir hin und her, weil die Strände an diesem Fleckchen Erde ganz besonders schön sind. Bei einem der kleineren Strände steigt ein braungebrannter Mann aus Vancouver mit den Worten aus unserem Wassertaxi: "If you're ever at my beach, just give me whistle and I'll come down with a beer or two".

In Quimixto, einem Dorf am Meer, finden wir unseren Lieblingsort, hier steigt um diese Jahreszeit nur eine Handvoll Tourist*innen ab. Unseren ersten Besuch dort absolvieren wir an einem Dienstag, wir haben gerade genug Bargeld mit um an- und wieder abzureisen, eigentlich zu wenig Trinkwasser für den Tag, und finden den Ort für den Dienstag geschlossen vor. An diesem Tag sind wir wirklich alleine an einem Strand am Pazifik, und während wir gelegentlich angstvoll unsere knappen Wasservorräte beäugen, nehmen wir die Schönheit dieses Ortes ganz in uns auf. Palmen säumen den Strand, ab und zu fliegt ein Pelikan im Sturzflug ins Wasser um Fische zu fangen, Krabben haben den Strand erobert und sind als kleine Bauarbeiter*innen ihrer Höhlen unsere liebste Unterhaltung. Auch die Fahrt nach Quimixto ist atemberaubend schön, und ich denke mir nicht zum ersten Mal (in diesem Jahr) was für ein Paradies diese unsere Welt eigentlich sein kann.

Am letzten Tag bevor wir unsere Zelte in Puerto Vallarta ab- und gen Osten nach Guadalajara aufbrechen, besuchen wir Quimixto nocheinmal. Mit einem Vorrat an Bargeld und Trinkwasser, und dem mutigen Vorhaben zumindest einmal im Leben eine Surfstunde zu nehmen. Meine Freundin Lara findet Raul, einen Bewohner Quimixtos, der sich bereiterklärt uns zu unterrichten. Die Theorie im Trockenen ist schnell erledigt: nach 2 Minuten Übung am Strand steigen wir in die Schlinge, die uns mit dem Surfbrett verbindet, und schmeißen uns in die Wellen. Sonst ist hier niemand im Wasser, außer einer Gruppe an Pelikanen die sich abwechselnd auf den Wellen schaukelt und nach Fischen jagt. Als eine größere Welle kommt, gibt Raul meinem Surfbrett noch einen Extraschubs und ich rase halbstehend auf die Küste zu, bevor ich vom Bord springe und die Kraft des Wassers über und unter mir zu spüren bekomme. Es ist der perfekte Ort um zu üben, unbeobachtet und ohne Gefahr jemandem über die Ohren zu surfen. Als wir uns schließlich am Schluss und schon ziemlich erschöpft noch eine letzte gute Welle wünschen, sehen wir gedankenverloren aufs Meer hinaus. Wir warten lange, scherzen mit Raul über alles Mögliche, und als er aus dem Nichts und in monotonem Tonfall "Nada Limonada" sagt, muss ich so sehr lachen, dass ich fast vom Brett falle.

Nach unserer Surfstunde kehren wir ein bei Charlie's Bar direkt am Strand - Charlie ist der Cousin von Raul, aber wir lernen schnell, dass das kein großer Zufall ist, das halbe Dorf ist hier eine Familie. Charlie ist zurecht berühmt für seine Gastfreundschaft und vorzüglichen Speisen mit Meeresfrüchten. Während wir unsere in Kokos ummantelten Garnelen genießen, kommt der nächste Tropensturm bei uns an und prasselt heftig auf Quimixto herab. Es donnert als wären wir oben in den Wolken und obwohl es blitzt wie wild wirft sich Raul wieder in die Fluten um zu surfen. Es ist ein Moment den ich festhalten will ganz tief im Herzen.

Bald ist es Zeit um den langen Heimweg anzutreten und das ist beim andauernden heftigen Regen gar nicht so einfach. Charlie winkt uns ein Wassertaxi heran, in das wir nur über den Strand einsteigen können. Bei Charlie‘s Bar sitzen noch zwei Gruppen Tourist*innen und schauen auf den Sturm über dem Meer, wir wissen also, dass wir beobachtet sind. Lara schafft den eleganten Einstieg, und als sie mir zeigen will wie, fällt sie bei einer plötzlichen Welle filmreif im Boot um, und ich muss so sehr lachen, dass ich mich nur wie ein gestrandeter Wal ins Boot robben kann. Die halbstündige Bootsfahrt durch den Regen bestreiten wir klitschnass und uns vor Lachen zerkugelnd. Was für ein letzter Tag!

20.11.2023