Gewitter über Georgien

Szenenwechsel. Nach meiner Zeit in USA & Kanada verbringe ich nur wenige Tage in Wien und schon geht's weiter Richtung Kaukasus. Gemeinsam mit 2 meiner Liebsten lande ich mitten in der Nacht in Tiflis und wir beziehen unser Airbnb. Ein altes, verfallendes Gebäude das zum Dachboden hin ausgebaut wurde zu einem hippen Zuhause mit hohen Räumen, Backsteinwänden und einem Loft unter dem Dach. Schon bald lernen wir den Schlafbereich oben unter den Dachluken lieben. Es scheint der Juni nämlich eine Gewitter-Saison zu sein, jede Nacht tosen heftige Stürme über uns, Straßen werden zu Bächen, der Regen trommelt auf unsere Fenster und die Bäume wiegen sich widerspenstig im Wind während die Blitze niedergehen. Ein paar Nächte verbringen wir hier, jede Nacht ist stürmisch und die Tage schwül, lernen Tiflis erst mal nur oberflächlich kennen bevor wir bald weiterziehen Richtung Osten nach Kutaissi, der zweitgrößten Stadt Georgiens.

Die Zugfahrt von Tiflis aus soll sehr schön sein und stellt sich auch als abenteuerlich heraus - wenig Luft, sehr heiß und in Waggons die aus der Sowjetzeit stammen. Es ist ein Regionalzug der zeitweise Schritttempo fährt, wir benötigen für die Strecke von 230 Kilometern den halben Tag. Kutaissi ist uns aus dem Buch "das Achte Leben - für Brilka" von Nino Haratischwili wohlbekannt und wirkt vertraut, Einfamilienhäuser aus Stein mit niedrigen Dächern und hölzernen Verandafenstern treffen auf Sowjetbauten und die Stimmung in der Stadt ist ruhig und kleinstädtisch gemütlich. Über den Fluss Rioni spannt sich eine Seilbahn, die in Miniaturkabinen Fahrgäste in 2 Minuten ans andere Ufer und auf den am Hügel gelegenen Vergnügungspark bringt. In Kutaissi gibt es auch einen der größten Märkte Georgiens, den Green Bazar, wo man von Gemüse über Fleisch bis zu Gegenständen des täglichen Bedarfs alles findet. Viele Stände verkaufen die typische Nachspeise Tschurtschchela, einen Fruchtkonfekt aus Walnüssen und geleeartigem Traubensaft, der auf Schnüre gehängt wird. Nach einem köstlichen Abendessen voll der georgischen Spezialitäten im Restaurant Papavero kehren wir schließlich ein in unsere neue Unterkunft, ein uriges steinernes Haus in dem wir sehr günstig nächtigen. Leider gibt es bei diesem Hotel einen Haken: einen Hund der uns als crazy Toto vorgestellt wird und der sich unheimlich gern in Knöcheln und Wadeln verbeißt. Aus Spaß wird schnell ernst und der notwendige Weg an ihm vorbei immer mehr zur Tortur.

Schon am nächsten Tag geht es weiter nach Mestia, die Hauptstadt der Bergregion Swanetien. Es ist eine sechsstündige Busfahrt bis dorthin und wir fahren dabei auch an der Grenzstadt zu Abchasien vorbei, einer der abtrünnigen Regionen Georgiens. Der letzte Teil der Fahrt geht immer tiefer in die Bergtäler, es beginnen sich über bewaldeten Berghängen schneebedeckte Gebirgsrücken zu zeigen. In Mestia angekommen sind wir überwältigt vom Panorama, die Natur ist hier mächtig egal wohin wir schauen. Von Mestia aus machen wir auch einen Tagesausflug nach Ushguli, das schon als schönster Ort Georgiens tituliert wurde. Ushguli ist ein Bergdorf auf 2200 Metern Seehöhe und liegt in etwa an der Baumgrenze. So geht die Landschaft sanft in Almen über, während sich darüber die verschneiten Gipfel des Kaukasus erheben. Der Shkhara-Gletscher liegt am Ende des Tals und ist in einer Tageswanderung von Ushguli aus zu erreichen. Leider haben wir nur ein paar Stunden Zeit und können daher nur im Dorf bleiben - es empfiehlt sich insgesamt für den Besuch von Swanetien mehr Zeit einzuplanen, ein Learning aus dieser Reise.

Ushguli selbst liegt zauberhaft schön im Tal, die Steinbauten des Dorfs sind ewig alt und gehören zum UNESCO Weltkulturerbe. Nur etwa 200 Menschen leben dauerhaft hier und die Lebensbedingungen sind besonders im Winter sehr hart. 6 Monate lang liegt hier Schnee und oft ist die Zufahrtsstraße zum Dorf abgeschnitten. Auch während wir über diese Straße fahren, die von Steinschlag und reißenden Bächen gezeichnet ist, fehlt ein Teil der Straße. Eine Fahrbahn ist abgestürzt, es sieht aus als wäre sie durch starken Regen unterhöhlt worden und schließlich weggebrochen. Trotzdem fahren die Autos zahlreich über die verbleibende Strecke, dürfte funktionieren ohne dass eines Richtung Fluss stürzt.

Das besondere Highlight in Mestia war eine Filmvorführung an unserem letzten Abend im Tal. Dede, ein georgischer Film, wurde in Ushguli gedreht und hat international zahlreiche Auszeichnungen erhalten. Heute wird er täglich mehrmals im "Kino" gezeigt, einem zum Film schauen umfunktionierten Keller, betrieben von einer Produktionsmitarbeiterin. Die Darsteller*innen des Films sind bis auf Einen Amateur*innen, die im Tal wohnen. Dede ist ein Melodrama, dadurch dass es in Ushguli spielt und ausschließlich dort gedreht wurde, ist man hineinversetzt in die Schwere des Lebens im Tal in der Zeit um 1900 und bekommt ein Gefühl dafür, was es bedeutet an einem derart abgelegenen Ort zu leben.

Insgesamt ist Swanetien mit Sicherheit eine Reise wert - es ist allerdings gut im Bewusstsein zu haben, dass der frisch aufkommende Tourismus im Tal definitiv nicht ohne Spuren bleibt. Überall wird neu gebaut und das Dorf Ushguli läuft dadurch Gefahr, den Status als UNESCO-Weltkulturerbe zu verlieren. Für die Bewohner*innen ändern sich dadurch die Lebensumstände massiv und es wird darauf hingewiesen, besonders im Tal möglichst verantwortungsvoll zu reisen. Schnell ist man verleitet vom einfachen Leben der Dorfbewohner*innen auszugehen, wo es scheint als wäre die Uhr in einem längst vergangenen Jahrhundert stehen geblieben. Tatsächlich haben die Hälfte der Dorfbewohner*innen von Ushguli einen Hochschulabschluss und der Tourismus bringt dem Dorf neben guten Einnahmequellen auch entscheidende Schwierigkeiten. Tourist*innen aus aller Welt reisen nach Swanetien, und das Tal richtet sich darauf aus, mit allen Konsequenzen. Ein authentisches Georgien wird man hier in einigen Jahren wohl schwieriger finden können.

Nach einer langen Rückreise nach Kutaissi übernachten wir noch einmal in der Stadt. Besonders abends hat es hier eine sehr nette Stimmung. Ein Belgier möchte uns vom Karma Hostel erzählen das er betreibt, wir haben längst schon davon gelesen, leider war es uns zu abgelegen. Wenn ich nochmal in die Gegend komme, werde ich dort sicher unterkommen.
Auf der Fahrt Richtung Tiflis, wieder mit dem Zug, haben wir ein weiteres Learning: dass man uns sprachlich hier sehr wohl sehr gut verstehen kann im Fall der Fälle. Bei einem Ereignis im Zug lästern wir über die Sitznachbarin ab, die sich schwer egoistisch verhält und müssen feststellen, nachdem zu viel Zeit vergangen ist und zu viel gesagt wurde, dass sie jedes Wort verstanden hat. Vielleicht gelingt es diesmal uns zu merken: Deutsch ist keine Geheimsprache.

Eine Woche in Tiflis haben wir noch vor uns, wir wollen es dort ruhiger angehen und ich bin überzeugt, auch hier wird es viel zu erzählen geben.
17. Juni 2023