Mit dem Zug nach Yorkshire

Nach den heißen Tropentagen Mexikos suche ich nach kühlem Wind und regennassen Tagen, geprägt von ausgedehnten Spaziergängen und prasselndem Kaminfeuer. Es ist Herbst und Vorweihnachtszeit und die Städtchen im Herzen Englands verführen mit ihrem Charme. Auf dem Weg dorthin besuche ich im holländischen Maastricht ein Buchgeschäft in der Kirche, das ich schon immer sehen wollte. In den heiligen Hallen des Dominicanen Buchgeschäfts lässt sich gut ein Halbtag verbringen, und die Straßen von Maastricht erstrahlen im Licht der Weihnachtsbeleuchtung. In einem modernen Hostel umrahmt der abendliche Saunabesuch einen wunderbaren ersten Tag meiner herbstlichen Interrailreise.

Nichts gemütlicher als in den Zug zu steigen und Landschaften an mir vorbeiziehen zu lassen, zuzusehen wie sich die Architektur verändert bis ich unter dem Ärmelkanal durchtauche und im pulsierenden London in den nächsten Zug gen Norden steige. Mein erstes Ziel in England ist York, eine Stadt die seit dem Römischen Reich besteht und Geschichte atmet. Wikinger sind hier schon gelandet und nannten die Stadt Jarvik, geraume Zeit später hat das Mittelalter seine markanten Spuren hinterlassen. Heute spukt es hier - so sagt man - nicht wenig. Den letzten Schliff zu Yorks Berühmtheit hat JK Rowling beigetragen, die in den Shambles, einer mittelalterlichen Einkaufsstraße im Herzen der Stadt, Inspiration gefunden hat für die Winkelstraße – das Einkaufszentrum für Zauberer, Hexen und Magier. Neben den alten romantischen Gassen des Zentrums steht York Minster, eine mächtige Kirche mit Seitenschiff und imposanten Glasfenstern. Jeden Tag am Nachmittag kommt hier der Kirchenchor zusammen für Evensong, einer Andacht, durch den Chor musikalisch untermalt.

In York treffe ich Freundinnen, und gemeinsam fahren wir an einem halbverregneten Tag in das Städtchen Knaresborough für ein ausgedehntes englisches Frühstück. Wohlwissend, dass die klassische englische Variante so viel Kraft gibt, dass man bei den Highland Games antreten könnte, entscheide ich mich für die vegetarische Version und bin glücklich über Spiegelei, Bohnen und Rösti serviert mit einer Kanne Yorkshire Tea. Wir streifen durch das hübsche Dörfchen und bewundern die Aussicht über sanfte Hügel voll herbstlicher Wälder. Bei Windverwehungen vollführen die bunten Blätter ihren schönsten Tanz und als es zu regnen beginnt, steigen wir in den Zug zurück nach York. Von einem pittoresken Ort zum anderen.

Unweit von York öffnet sich die Ostküste Englands zur Nordsee hin und an einem sonnig anmutenden Tag machen wir uns auf zu einer langen Wanderung. In einem Halbkreis um den Nationalpark North York Moors führt der Cleveland Way, eine Weitwanderungsstrecke von 8 Tagen. Eine der Etappen führt uns an diesem schönen Tag vom Örtchen Filey Richtung Norden bis nach Scarborough. In einer Landschaft die auch das mittlere Weinviertel sein könnte (obwohl es hier zugegeben wesentlich mehr Schafe gibt), fällt urplötzlich das Land herab zum Meer, mit Klippen die spektakuläre Aussicht garantieren. Leichter Regen und Sonnenschein lösen sich ab, und so erstrecken sich während dem größten Teil unserer 7-stündigen Wanderung unzählige Regenbögen über Land und Meer. Es ist der Ort, an dem Wuthering Heights seinen Ursprung gefunden hat, wo Anne Brontë begraben liegt, die nach dem Tod ihrer Geschwister mit Hoffnung auf Heilung nach Scarborough geschickt wurde und darin ihre letzte Reise fand. Um diese Jahreszeit ist der Boden feucht und durchgeweicht, das Moor wird seinem Namen mehr als gerecht, und so stapfen wir durch Schlamm und Gatschlacken, beschwingt vom Meereswind und dem Geräusch von Möwen in ihrem Element. Es ist wieder ein Anlass zu denken: wie schön ist diese unsere Welt.

11.12.2023