Die bezaubernden Nationalparks von Yorkshire

Eine Woche in York hat gezeigt: hier könnte ich auch länger bleiben. Die Stadt hat für mich genau den richtigen Charme, um ein home away from home zu sein. Aber die Ausflüge nach Knaresborough und an die Küste haben mich neugierig gemacht auf das Umland, auf die grünen Ebenen und sanften Hügel Yorkshires. Es ist Mitte November und das Wetter noch recht mild. Es regnet häufig aber nie strömend, und so lässt es sich wunderbar spazieren und wandern. Ich freue mich daher besonders auf unseren ersten Stopp, auf Scarborough an der englischen Ostküste, am Rande des Nationalparks North York Moors. Dort fallen steile Klippen mehrere dutzend Meter zum Meer hinab, direkt neben den viktorianischen Häusern, die von der reichen Geschichte der Stadt erzählen. Scarborough war lange ein beliebter Kurort und auch von London aus immer gut zu erreichen. Bevor Flüge auf die Balearischen Inseln oder sonst wo in den Süden so günstig wurden wie sie heute sind, erlebte Scarborough seine Blütezeit.

Noch heute hat es eine lebendige Kulturszene, von Open-Mic-Nights zu einem gemütlichen Café, in dem nachmittags französische Chansons auf einem Keyboard begleitet werden. Unten am Pier blinken die grellen Lichter der Vergnügungshallen, wo sich Glücksspielautomaten mit Fish & Chips Buden abwechseln. Die Stadt hat zwei Sandstrände, voneinander getrennt durch eine hohe Klippe, gekrönt von einer verfallenden Burgruine. Durch den Höhenunterschied, der das Meer von der Stadt trennt, und dank der altehrwürdigen Gäste, die aus den noblen Vierteln Londons anreisten, verfügt Scarborough außerdem über einige Cable Cars – um einst diese 2 Straßen und 20 Höhenmeter nicht zu Fuß in der Sommerhitze bewältigen zu müssen.

An einem sonnigen Tag unternehmen wir einen Ausflug nach Whitby, ein großes Fischerdorf mit einem Hafen der aussieht wie gemalt und einer alten Abtei, von der heute nur noch Ruinen übriggeblieben sind. Der Autor von Dracula fand hier Ende des 19. Jahrhunderts Inspiration für seine Geschichte und ließ einen Teil seines Romans dort spielen. So ist Whitby heute ein beliebtes Ziel für Gothics und Dracula-Fans aus aller Welt. Auch das malerische Dörfchen Robin Hood Bay ein Stückchen weiter südlich ist eine Reise wert, und vom höher gelegenen Fylingthorpe hat man eine fabelhafte Aussicht auf das Meer und die Küste. Hier wirkt es, als wäre die Zeit stehen geblieben.

Weiter nördlich von Whitby liegt Staithes, ein kleines Fischerdorf. Hier habe ich über HomeExchange wieder einen Tausch vereinbart und so bleiben wir eine Woche in einem entzückenden Cottage mit Blick auf Dorf und Hafen. Von der Straße aus gesehen, die oben verläuft, sieht es erneut aus wie im Weinviertel und nichts lässt einen vermuten, dass das Land hier durch eine Flussschneise getrennt abrupt zum Meer abfällt und Platz für ein kleines Dorf mit seinem Fischerhafen bietet. Hier ist um diese Jahreszeit wirklich tote Hose und außer ein paar Pensionist*innen mit ihren Hunden und ein paar Einwohner*innen trifft man hier niemanden. Möwen kreisen über uns, ein Vogelschwarm nistet in einer der zerklüfteten Klippen und steigt immer wieder spektakulär zu Manövern empor. Im Kamin prasselt das Feuer, draußen stürmt das Meer in hohen Wellen ins Hafenbecken. Ich will mir diesen Ort merken, ein Ruhepol im Herzen.

Für unseren nächsten Stopp in Yorkshire wollen wir weiter in Richtung Westen, zum Yorkshire Dales Nationalpark. Das Stätdchen Settle liegt entlang einer der (so sagt man) schönsten Bahnstrecken der Welt. Die Landschaft sieht ähnlich aus wie in Schottland, karg und ohne Wälder, und ist um diese Jahreszeit und im glücklichen Fall von Sonnenschein in besonders goldenes Licht gehüllt. Hier sind Schafe auf ihren Weiden die häufigste Sehenswürdigkeit, und besonders bei der Zugfahrt durch die Yorkshire Dales ist es mir ein Vergnügen den Schafen beim Sein zuzusehen. Herden  voller kleiner Individuen, die auf einen vorbeifahrenden Zug so ganz unterschiedlich reagieren. Die Schreckhaften unter ihnen springen auf und rennen panisch davon. Die mit gesundem Appetit lassen sich von ihrem Speisen nicht abhalten, blicken oft nicht mal auf. Auch die Müden bleiben liegen und träumen von den saftigen Hügeln die sie umgeben. Manche sind zottelig und haben eine Schur bitter nötig, andere sind ihre Wolle gerade erst losgeworden und springen vergnügt mit neu gewonnener Leichtigkeit.

Als es finster wird, an einem Samstagabend im späten November, findet auf dem Hauptplatz in Settle der Auftakt für den Advent statt. Junge Familien und ihre Großeltern schieben sich an den Ständen mit Weihnachtsschmuck und Heißer Schokolade entlang, und in einem Zelt kann man dem Weihnachtsmann höchstpersönlich seine Weihnachtswünsche mitteilen. Selbstredend ist hier die längste Schlange. Ein Kinderchor eröffnet die Feierlichkeit: auf einem zur Bühne improvisierten weihnachtlich geschmückten Lastwagen tritt eine Schulklasse auf und singt ein Lied aus Shrek. Oder eher: sie summt schüchtern das Lied mit, denn auch der enthusiastisch dirigierende Lehrer und die begeistert mittanzenden Verwandten können den Kindern die Hemmung nur sehr langsam nehmen. Im März werden sie ein Shrek-Musical aufführen, am liebsten würden wir dafür wieder nach Settle fahren. Es folgt darauf eine Rock-Band bestehend aus vier älteren Herren, deren Charme in der Leidenschaft zu ihren Liedern und im häufig verfehlten Ton besteht. Und schließlich das Highlight des Tages: nachdem die Bürgermeisterin eine Gruppe von Kindern vorgestellt hat, betreten sie die Bühne um eine Kristallkugel zu beschwören. Da sie alles richtig machen, erstrahlt um Punkt 17:00 Uhr die Weihnachtbeleuchtung im ganzen Dorf und ein festliches Feuerwerk über der Stadt. Der Hauptplatz ist zum Bersten voll, ganz Settle und seine Umgebung haben sich zusammengefunden, die Stimmung ist glücklich. Ich fühle mich wie in einer Szene der Gilmore Girls und würde gerne ein Stück von diesem Stars Hollow mit nachhause nehmen.

18.12.2023